Die KZ-Aufseherinnen in nationalsozialistischen Konzentrationslagern standen an einer entscheidenden Schnittstelle in der Befehlskette zwischen den männlichen SS-Führern und weiblichen Funktionshäftlingen. Sie nutzten ihre Handlungsräume für unterschiedliche Unterdrückungsmethoden und Gewaltpraktiken, um die Ziele der männlichen SS-Vorgesetzten und der KZ-Betriebe durchzusetzen, aber auch um eigene Interessen und Wünsche, wie zum Beispiel Karriereziele und materielle Bedürfnisse, zu befriedigen.
Muhammad Ali ist der berühmteste Boxer aller Zeiten. Er war ein Großmaul, konnte gleichzeitig unwiderstehlich und charmant sein, konvertierte zum Islam, verweigerte den Kriegsdienst und fügte sich in keine Rolle. Seine heute legendären Kämpfe gegen Liston, Frazier oder Foreman verfolgten viele, die dem Boxsport eigentlich nichts abgewinnen konnten. Jan Philipp Reemtsma beschreibt die schillernde Persönlichkeit und den außergewöhnlichen Stil des Gesamtkunstwerks Muhammad Ali.
Der »idealisierte Rebell« und der »Dandy des Bösen« - beide sind unzweifelhaft Schlüsselfiguren gewesen.
Ohne Rudi Dutschke wäre die 68er-Bewegung und ohne Andreas Baader die RAF nicht zu verstehen. Beide sind inzwischen Objekte einer postumen Bewunderung.
Obwohl sich Dutschke und Baader in ein- und derselben historischen Strömung bewegt haben, schienen sie als Personen und in ihren jeweiligen Rollenfunktionen doch diametral entgegengesetzt zu sein. Allerdings verbindet sie eine obsessive Affinität zur Gewalt und der Glaube an die Strategie der Eskalation. Beide bewunderten auch die Figur des Guerillero und begriffen sich jeder auf seine Weise als Reinkarnation Che Guevaras- mitten im Kalten Krieg, im gespaltenen Deutschland, an dem am weitesten vorgeschobenen Posten des Westens, in der »Frontstadt« West-Berlin.
Dutschke griff die Idee von der Stadtguerilla bereits lange vor dem Ausbruch der Studentenrevolte auf. Und Baader war derjenige, der sich wie kein anderer als ein solcher städtischer Guerillero sah. Was Dutschke noch mit klassenkämpferischer Diktion propagiert hatte, wurde von dem Abenteurer, dem Auto- und Waffennarr Baader ohne großes ideologisches Federlesen praktiziert. Wer die Geschichte der RAF verstehen will, der kommt deshalb nicht an dieser lange Zeit übersehenen Beziehung vorbei.
Leben in flüchtigen Zeiten bedeutet, mit der Ungewissheit umzugehen - mit der zunehmenden Fluidität der wählbaren Lebensformen und der Dialektik von Angst und Sicherheit, mit dem Wachsen der sozialen Ungleichheit und dem 'Überflüssigwerden', mit der Globalisierung und dem Permanenzstatus des 'Flüchtlings'.
Der Anspruch der Moderne, den Menschen Klarheit, Transparenz und Ordnung zu bringen - eine durchschaubare Welt zu schaffen -, war von vornherein zum Scheitern verurteilt, weil mit ihm die grundsätzliche Ambivalenz der Welt und die Zufälligkeit unserer Existenz, unserer Gesellschaft und Kultur geleugnet wurde. Erst die Postmoderne verabschiedete sich von diesem Versprechen. War der Schlachtruf der Moderne 'Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit', so war 'Freiheit, Verschiedenheit, Toleranz' die Waffenstillstandsformel der Postmoderne. Und wenn Toleranz in Solidarität umgewandelt wird, kann aus dem Waffenstillstand sogar Frieden werden.
Sei es durch Bankenkrisen oder Inflation, Schuldenbremse oder Zinsdebatten: Das Thema Geldpolitik ist in der Tagespolitik angekommen. Längst hat sich die Einsicht verbreitet, dass Geld kein neutrales Tauschmittel ist, sondern auch ein Instrument politischer Herrschaft. Gleichwohl fehlt noch immer das Bewusstsein dafür, wie eine demokratische Geldpolitik aussehen könnte.
Hier setzt Stefan Eich mit seinem Buch an. Die Währung der Politik erzählt die politische Ideengeschichte des Geldes von der griechischen Antike bis in die Gegenwart als eine Geschichte geldpolitischer Krisen.
Eich untersucht monetäre Krisensituationen und die politischen Theorien des Geldes von Aristoteles, John Locke, Johann Gottlieb Fichte, Karl Marx und John Maynard Keynes. Dieser Gang durch die Geschichte führt u. a. durch die Währungskrise 1797 und die Hyperinflation der Zwischenkriegszeit.
Nicht zuletzt vermittelt Eich die paradoxe Macht heutiger Zentralbanken, die beispiellose Rettungsaktionen organisieren und dennoch von privaten Banken abhängig sind. Angesichts dieser Herausforderung lohnt es sich, die Kreditschöpfung stärker demokratisch zu steuern und mehr geldpolitische Demokratie zu wagen.
'Der Begriff Moral ist verpönt, ein Wort wie Held ist tabu, gut und böse tauchen nur mit Anführungszeichen auf', so Susan Neiman, Philosophin und Direktorin des Einstein Forums in Potsdam. Mit ihrem Buch 'Moralische Klarheit' will sie die Sprache der Moral und deren Konzept des Guten, die von konservativen Parteien und der religiösen Rechten vereinnahmt wurden, für die Linke zurückge-winnen. Denn das Scheitern des Kommunismus hat die Linke so gelähmt, dass sie nun meint, allen Idealen abschwören zu müssen und nicht mehr im Namen moralischer Werte wie etwa der Gerechtigkeit agieren zu können. Diese politische Gegenwartsdiagnose nimmt Neiman zum Anlass, das Verhältnis von Moral und Politik auf einer philosophischen Ebene zu ergründen und die metaphysischen Grundlagen der Argumentationsgebäude der Linken wie der Rechten zu beleuchten. Dabei distanziert sie sich vor allem von Carl Schmitt, der den Bereich des Politischen strikt von dem der Moral getrennt sehen wollte. Für Neiman würde dies dazu führen, dass der Begriff des Sollens nicht mehr als kritischer Maßstab in der Politik verwendet werden dürfte. Ihr zufolge ist es nicht die Gesinnung, auf die es ankommt, sondern einzig und allein das Handeln, das sogar die Bereitschaft, das eigene Leben aufs Spiel zu setzen, einschließen kann. Aus dieser Ethik der Verantwortung für das eigene Handeln entwickelt Neiman ein weiteres Kernthema ihres Buches: die Idee des Helden. Wozu brauchen wir Helden, warum reichen uns nicht Vorbilder? Was ist überhaupt ein Held? Den Begriff des Helden schärft sie zunächst an der Person des Odysseus, des - wie sie meint - ersten Helden der Moderne, der für Adorno und Horkheimer die Dialektik der Aufklärung veranschaulicht. Susan Neiman verteidigt auf der Grundlage ihrer eigenen historischen Analysen die abendländischen Werte überzeugend gegen ihre Kritiker und entwickelt ein philosophi-sches Fundament für heutiges politisches Denken und Handeln. Durch ihre aktuellen Analysen von moralischen Urteilen über Gut und Böse sowie durch Beispiele von zeitgenössischen Helden, die bereit waren, um eines Ideals willen die engen Gleise ihrer Karrieren zu verlassen, entsteht eine völlige neue Sicht auf die Grundwerte der Aufklärung. Damit zeigt sie wie die Welt sein könnte, wenn wir einige der Hoffnungen und Ideale zurücker-obern könnten, die uns neuerdings abhanden gekommen sind und legt anschaulich dar, dass Moral und Ideale Menschen noch immer in-spirieren und ihnen den Weg weisen, weil sie uns stets den Unterschied zwischen dem Rea-len und dem Möglichen vor Augen führen.
Am 6. April 1994, unmittelbar nachdem Präsident Habyarimana bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen war, begann in Ruanda ein blutiges Gemetzel. Innerhalb von 13 Wochen wurden bis zu einer Million Menschen bestialisch abgeschlachtet. Die meisten Opfer zählten zur Minderheit der Tutsi, aber mit ihnen starben auch Tausende Hutu, die das Morden ablehnten oder Tutsi zu beschützen versuchten. Der Genozid war kein spontaner Ausbruch kollektiver Wut oder ethnischer Spannungen, sondern Kalkül einer kleinen, modernen Elite, die ihren Machterhalt durch die wachsende Opposition in Ruanda gefährdet sah. Die militärischen und politischen Erfolge der von Tutsi dominierten Ruandischen Patriotischen Front (RPF) lieferten den Hutu-Machthabern in Kigali einen willkommenen Vorwand, um die Kontrolle über sämtliche staatlichen Institutionen an sich zu reißen. Dabei konnten sie auf die Unterstützung von Militär und Nationalpolizei ebenso zählen wie auf regionale Behörden, Medien, Intellektuelle und Geistliche. Das vorliegende Buch stützt sich auf Interviews mit Überlebenden wie mit Tätern, mit Menschen, die andere gerettet oder es zumindest versucht haben, sowie mit jenen, die wegschauten. Protokolle örtlicher Zusammenkünfte, der Schriftverkehr zwischen Verwaltungsbeamten sowie die Analyse dessen, was in Radiosendungen oder bei Versammlungen gesagt oder verschwiegen wurde, geben ein detailliertes Bild der Ereignisse von 1994. Zahlreiche Quellen, darunter bislang unveröffentlichte Aussagen und Dokumente von Diplomaten und Mitarbeitern der Vereinten Nationen, belegen zudem das Versagen der internationalen Akteure und ihren Anteil am Völkermord in Ruanda: Frankreich, Belgien und die Vereinigten Staaten wußten ebenso wie die Vereinten Nationen von den Vorbereitungen für die Massaker. Ein entschlossenes gemeinsames Vorgehen auf politischer oder militärischer Ebene hätte das Blutvergießen höchstwahrscheinlich verhindern oder schnell beenden können.
Schon im Ersten Weltkrieg war die Eroberung und Kolonisierung des Ostens eines der wichtigsten militärpolitischen Ziele Deutschlands. Wie reagierten die dort lebenden Völker auf diesen Herrschaftsanspruch, mit dem angeblich ein historisches Vermächtnis eingelöst und ein kultureller Auftrag erfüllt werden sollte? Und wie gingen die Besatzer mit den Reaktionen um? Indem Liulevicius Antworten auf beide Fragen gibt, zeigt er zugleich, wie auf deutscher Seite ein Bild vom Osten und seiner Bevölkerung entstand, das sich, getragen und gefestigt durch bestimmte Mentalitäten und Ideologien, im nächsten Krieg auf so verhängnisvolle Weise auswirken sollte.
Wie kann das Versprechen allgemeiner Gleichheit mit einem Anspruch auf Verschiedenheit verbunden werden? Dieses Leitthema der europäischen Moderne greift Till van Rahden am Beispiel der jüdischen Geschichte auf. Je mehr das Ideal der Gleichheit an Bedeutung gewann, desto heftiger wurde der Streit über kulturelle und religiöse Differenz. Davon zeugen die Auseinandersetzungen über die Judenemanzipation und die jüdischen Erfahrungen seit dem späten 18. Jahrhundert. Anhand der Geschichte strittiger Begriffe wie Assimilation, Minderheit oder Mehrheit, Ethnizität und Stamm erzählt dieses Buch eine Geschichte der Pluralität, die bis in unsere Gegenwart reicht.
'Wir sind das Volk!' Aber wer ist das Volk? Stets wurde darum gestritten, wer dazu gehören sollte und wer nicht. Die Vorstellung einer ethnisch homogenen Nation führte zum Ausschluss, zur Vertreibung, zur Vernichtung von Minderheiten. Volk verwandelte sich in eine rassistische, antisemitische Volksgemeinschaft. Auch in der Auseinandersetzung mit der AfD, die sich vehement auf das Volk beruft, geht es um unterschiedliche Volkskonzepte. Das Volk ist nicht tot, aber es hat überlebt. Vielleicht ist es an der Zeit, stattdessen mit Hannah Arendt den Menschen und sein Recht, Rechte zu haben, in den Mittelpunkt unseres demokratischen Denkens zu stellen.
'Ich shoppe also bin ich ...' - so fasst Zygmunt Baumann den Wandel unserer Gesellschaft zusammen, die sich von einer Gesellschaft der Produzenten in eine Gesellschaft der Konsumenten transformiert. In dieser Verbrauchergesellschaft werden die Individuen selbst zur Ware, sie müssen sich auf dem Markt als Konsumgut bewerben und verkaufen. Sie sind zugleich Konsument, aber auch Handelsartikel und Vermarkter, Ware und Verkäufer. Der Wandel, den Zygmunt Bauman im Blick hat, beruht auf der Verschiebung der Dominanz von der Protektion zur Konsumtion und einer daraus folgenden Neudefinition des Menschen. Zygmunt Bauman untersucht die Auswirkungen der vom Konsum bestimmten Haltungen und Verhaltensmuster auf verschiedene scheinbar nicht miteinander verbundene Aspekte des sozialen Lebens: auf Politik und Demokratie, soziale Spaltungen und Schichtungen, auf Gemeinschaften und Partnerschaften, Identitätsbildung und die Produktion sowie den Gebrauch von Wissen und Wertorientierungen. Mit dem Schwinden der moralischen Integration in Gruppen und Familien mindert sich auch die Bereitschaft, im Kleinen Verantwortung für andere zu übernehmen und im Großen einen Sozialstaat einzufordern. Und die Armen erscheinen nicht mehr als (potentielle) Arbeitskräfte oder Objekte des Sozialstaats, sondern als gescheiterte Verbraucher, als nicht brauchbare Güter. Da sie in einer solchen Gesellschaft völlig nutzlos sind, werden sie als menschlicher 'Abfall' angesehen, für den - im Zeichen der Deregulierung - niemand Verantwortung zu übernehmen hat. Die Invasion und Kolonisierung des Geflechts menschlicher Beziehungen durch marktinspirierte und - geformte Weltanschauungen und Verhaltensmuster sind - neben den Quellen des Unmuts, des Dissens und des gelegentlichen Widerstands gegen diese 'Besatzungsmächte' - die zentralen Themen dieses Buches.
Im Zuge des Denkmalsturzes ehemaliger Sklavenhalter werden auch westliche Konzepte auf ihren Beitrag zu Rassismus und Unterdrückung hin untersucht. Ein solches Konzept ist der fest im europäischen Denken verankerte Begriff »Barbarei«. »Barbarei« ist der zentrale Begriff für die Beschreibung anderer Völker, die seit der Antike die Abwertung anderer Kulturen markiert und immer wieder neu bestimmt wird. In der europäischen Geschichte ist »Barbarei« auf das Engste mit dem Kolonialismus verbunden und muss somit als dessen Komplize und Erbe verstanden werden. »Barbarei« steht für das »Andere« westlicher Ordnung und zivilisierter Werte. Man beklagt damit furchtbare Verbrechen und verurteilt sie als moralisch besonders verwerflich. Zurückgreifen können diese politischen Verwendungsweisen auf eine lange Geschichte theoretischer Konzepte der »Barbarei«.
Obwohl ein enger Zusammenhang zwischen »Barbarei« und Kolonialismus besteht, ist es bemerkenswert, dass der Begriff im Alltag und in der Theorie weiter verwendet wird - wenn auch in kritischer Absicht. Im Topos der »Barbarei« vereinen sich über die Zeiten die Gegenbilder verschiedener Wertesysteme: der Vernunft, des Christentums, der Humanität, der Zivilisation, der Kultur oder der Menschenrechte. Wie fand diese theoretische und begriffsgeschichtliche Entwicklung statt?
Oliver Eberl hat mit dieser Studie die Dekolonisierung der Politischen Theorie zum Ziel, die ihr Denken mit Blick auf den Staat und seine Kritik vielfach von dem Begriffspaar »Naturzustand und Barbarei« anleiten lässt. Dazu zeichnet er die Theoriegeschichte des Begriffs »Barbarei« nach. Im Zuge der neuzeitlichen Staatsbegründung wurde »Barbarei« als Vergangenheit der europäischen Staaten verstanden und Staatlichkeit vor dem Hintergrund der Gefahr des Rückfalls in den »Naturzustand« theoretisiert. Zentral ist dabei die Verknüpfung mit dem europäischen Kolonialismus, dem »Barbarei« von der Antike bis zum 20. Jahrhundert zur Abwertung der Kolonisierten diente und der das »Barbarische« als das Nichtstaatliche mit dem zu Kolonisierenden gleichsetzte.
Die seit der Aufklärung vollzogene Wende vom kolonialen zum kritischen Gebrauch sichert den theoretischen Stellenwert des Begriffs bis heute. Diese Wende hat dem Begriff »Barbarei« einen festen Platz in unserem Denken gesichert, so die These des Autors. In der Auseinandersetzung mit den Nationalsozialisten wurde der Begriff dann zum Platzhalter für die Kritik von Menschheitsverbrechen. Dabei wurde verdrängt, dass auch der Kolonialismus ein Menschheitsverbrechen ist und als solches kritisiert werden muss.
Eindrücklich verdeutlicht Oliver Eberl, wie fatal es für politische Theoriebildung ist, in kritischer Absicht die Wirkungsgeschichte des Kolonialismus zu verlängern.
Der Green New Deal hat das Potenzial, eine der größten globalen Kampagnen unserer Zeit zu werden. Damit wir auch in Zukunft auf unserem Planeten leben können, müssen wir mehr tun, als nur die Wirtschaft neu zu überdenken - wir müssen sie grundlegend verändern. Ann Pettifor, eine der führenden Denkerinnen des Green New Deal, erklärt, wie wir uns das, was wir tun müssen, auch leisten können. Sie schlägt ein radikal neues Verständnis des internationalen Währungssystems vor und bietet einen Fahrplan für Finanzreformen sowohl auf nationaler als auch auf globaler Ebene an. Dazu gehört eine vollständige Dekarbonisierung und eine Wirtschaft, die auf Fairness und sozialer Gerechtigkeit basiert.
Der Kampf der Frauen für ihr Wahlrecht gehört zu den faszinierendsten Seiten der Demokratiegeschichte. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts eroberten sich Frauen weltweit den öffentlichen Raum, schrieben Petitionen, organisierten Demonstrationen, hielten Vorträge und schreckten auch vor Gewalt nicht zurück.
Nach und nach sorgten die Aktionen der Frauenbewegungen für ein gesellschaftliches Umdenken: Demokratie und Partizipation galt nicht länger als ein Projekt ausschließlich für Männer. Doch auch nach der Einführung des Frauenwahlrechts stellten sich weiterhin Fragen nach Gleichheit und Gleichberechtigung, nach der Begründung von Herrschaft und nach dem Sinn von Demokratie.
Die Autor_innen des Bandes zeigen aus verschiedenen Perspektiven die wechselvolle und spannende Geschichte des Frauenwahlrechts und machen eindrücklich klar, wie international die Geschichte der Demokratisierung ist.
Angst kennzeichnet eine Zeit, in der in Europa Populisten von rechts im Anmarsch sind, in der sich unter ganz normalen Leuten Erschöpfungsdepressionen ausbreiten und in der derKapitalismus von allen als Krisenzusammenhang erlebt wird. Angst ist der Ausdruck für einen Gesellschaftszustand mit schwankendem Boden. Die Mehrheitsklasse fühlt sich in ihrem sozialen Status bedroht und im Blick auf ihre Zukunft gefährdet. Man ist von dem Emp?nden beherrscht, in eine Welt geworfen zu sein, die einem nicht mehr gehört. Am Leitfaden des Erfahrungsbegriffs der Angst erfasst Heinz Bude eine Gesellschaft der verstörenden Ungewissheit, der heruntergeschluckten Wut und der stillen Verbitterung. Das betrifft die Intimbeziehungen genauso wie die Arbeitswelt, das Verhältnis zu den politischen Angeboten ebenso wie die Haltung zur Finanzdienstleistung. Es handelt sich weniger um die Angst vor einem 'großen Anderen', es ist die Angst vor den eigenen, schier unendlich wirkenden Möglichkeiten, zu denen wir uns verleiten lassen. Das Angstbild, das sich nach den Funktions- und Legitimationskrisen des Kapitalismus wie des Internets ausbreitet, ist das Bild von selbstregulativen Systemen, die auf den Reaktionen und Entscheidungender beteiligten Individuenberuhen. Welchen gesellschaftlichen Entwicklungen sehen sich die Menschen ausgeliefert, wo fühlen sie sich verlassen, bevormundet oder übergangen? Wie kann unser Ich der Angst standhalten und in welchen Ritualen und Diskursen kann es sich mit anderen über die gemeinsamen Ängste verständigen?
'Der Community-Kapitalismus entfaltet seine Bedeutung dadurch, dass er auf die Sehnsucht nach Gemeinschaft und Solidarität eine Antwort zu bieten scheint und dass er für Akteure unterschiedlichster politischer Provenienz anschlussfähig ist. Dabei gelingt es dem Kapitalismus wieder einmal, sich über seine Kriseneffekte erfolgreich zu reorganisieren: Die Sehnsucht nach Geborgenheit und Unterstützung in sozialen Gemeinschaften, die gerade durch den Abbau sozialer Sicherung und eine wettbewerbsförmig gesteigerte Vereinzelung genährt wird, wird ihrerseits zur Ressource und im krisengeschüttelten Kapitalismus als Alternative zu sozialen Rechten ausgebeutet.'
Dieses Buch entwickelt ein präzises und fundiertes Verständnis von israelbezogenem Antisemitismus und macht seine Muster sichtbar.
Die Kontroverse um Äußerungen des postkolonialen Theoretikers Achille Mbembe im Frühjahr 2020 hat der Frage nach israelbezogenem Antisemitismus viel Aufmerksamkeit verschafft. Sie ist nur eines von vielen Beispielen. Doch was ist unter Antisemitismus gegen Israel zu verstehen?
Klaus Holz und Thomas Haury gehen dieser Frage systematisch und in historischer Perspektive nach. Der gegen Israel formulierte Antisemitismus ist kein Sonderfall, er beruht auf den grundlegenden Mustern des modernen Antisemitismus überhaupt.
Die Autoren rekonstruieren seine unterschiedlichen Ausprägungen und die damit einhergehenden Selbstbilder. Sie behandeln Antisemitismus von links, islamistischen und postnazistischen Antisemitismus, antirassistische Identitätspolitik, Christen wider und für Israel und die neue Rechte. Dabei zeigen sich vielfältige Querverbindungen; außerdem wird deutlich, wie sich Antisemitismus im Allgemeinen und Antisemitismen gegen Israel zueinander verhalten.
Die Geschichte Morgenthaus und seiner Anhänger erlaubt einen ungewöhnlichen Blick auf die frühen deutschen Nachkriegsjahre und erklärt zum Beispiel, warum auch die Atombombe für das deutsche Wirtschaftswunder verantwortlich ist.
Henry Morgenthau, Jr. habe, so die landläufige Rede, Deutschland in ein »Ackerland« verwandeln und 80 Millionen Menschen dem Hungertod preisgeben oder zur Auswanderung zwingen wollen.
Anhand der umfangreichen Tagebücher des amerikanischen Finanzministers Morgenthau wird klar, dass man bereits in den frühen 1940er Jahren über die enge Verzahnung deutscher Großbetriebe mit den Nazis informiert war. Als er seine umstrittenen Gedanken zu Papier brachte, schien es, als würden - von Hitler und seiner engsten Umgebung abgesehen - die für Krieg und Völkermord Verantwortlichen ungestraft davonkommen.
Das Antlitz des Krieges hat sich in den vergangenen zwei Jahrhunderten grundlegend verändert. In diesem umfangreichen, von Bruno Cabanes zusammen mit drei Kolleg*innen herausgegebenen Werk untersuchen 57 Wissenschaftler*innen verschiedener Nationalitäten die Vielfalt von Kriegsgeschehnissen. Sie nehmen die Welt der Kämpfenden und der Zivilbevölkerung, die Frontlinien und die Heimatfront, militärische Ereignisse und ihre Auswirkungen auf Gesellschaften und Kulturen in den Blick, analysieren die Mobilisierung militärischer und politischer sowie wirtschaftlicher Institutionen und vermitteln eine perspektivenreiche Geschichte des Krieges vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Der Band eröffnet neue Sichtweisen auf den Krieg in all seiner zerstörerischen Macht - gestern und heute. 'Das Verdienst des Buches ist es, Krieg kultur- und militärgeschichtlich zu betrachten und dabei den wissenschaftlichen Rahmen durch die Vielfalt der Disziplinen und Kulturräume enorm zu erweitern.' Le Monde 'Dieses Buch eröffnet zahlreiche Wege, um Krieg neu zu denken.' Le Figaro
Ende der 1980er Jahre schloss nördlich von Philadelphia das Stahlwerk seine Tore, in dem der Vater von Raymond Geuss lange Zeit gearbeitet hatte. Sein Onkel, ein Landwirt in Indiana, brauchte bald einen zweiten Job, um seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Auch anhand der eigenen Familiengeschichte zeigt der Philosoph, dass Arbeit, wie wir sie in westlichen Gesellschaften kannten, verschwindet. Er erzählt die Geschichte dieses Umbruchs: von der Automatisierung über das Outsourcing bis zur Amazonifizierung der Gegenwart.
'Ich hatte meine Waffe auf Automatik gestellt. Deshalb kann man nicht sagen, wie viele man erschossen hat. Ich habe vielleicht 10 oder 15 von ihnen erschossen.' - 'Männer, Frauen und Kinder?' - ' Männer, Frauen und Kinder.' - 'Und Babys?' - 'Und Babys.' - 'Sind sie verheiratet?' - 'Ja.' - 'Kinder?' - 'Zwei.' -' Wie alt?' - 'Der Junge ist zweieinhalb, das Mädchen anderthalb.' - ' Dann drängt sich doch die Frage auf, wie der Vater von zwei Kindern Babys erschießen kann.' - 'Keine Ahnung. Es kommt halt vor.' - 'Wie viele Menschen wurden an diesem Tag erschossen?' - ' Ich schätze 370.' So schilderte Paul Meadlo in einem 1969 von CBS ausgestrahlten Interview das Massaker von 'My Lai (4)'. Die Bilder der zerstörten Dörfer, der von Napalm verbrannten Kinder, von einem Land, auf das mehr Bomben geworden wurden als auf alle Schauplätze des Zweiten Weltkriegs zusammen, prägen die Erinnerung an den Vietnamkrieg und die Jahre zwischen 1965 und 1975. Bernd Greiner beschreibt die Geschichte hinter diesen Bildern. Er geht der Frage nach, weshalb im Wissen um eine unausweichliche Niederlage weiterführten. Wie viele Gräueltaten in Vietnam verübt wurden, wird sich nie beantworten lassen. Deutlich wird indes, dass sie keineswegs die Ausnahme waren und mitnichten nur auf das Konto vereinzelter Exesstäter gingen. Ausführlich werden Einheiten wie die 'Tiger Force' und andere Todesschwadrone porträtiert und die Operation 'Speedy Express' geschildert, in deren Verlauf knapp 11000 Menschen getötet, aber nur 750 Waffen erbeutet wurden. An diesen Beispielen wird deutlich, die Absicht und Zufall, Planung und Unvorhersehbares zusammenwirkten und zu einer Radikalisierung kriegerischer Gewalt führten - wie aus regulären Verbänden marodierende Haufen wurden, wie Routineeinsätze in Massakern endeten. Nicht zuletzt kommen die Reaktionen von Politikern, Militärs und der Öffentlichkeit zur Sprache und mit ihnen die Art und Weise, wie in den USA über Kriegsvölkerrecht diskutiert wurde - ein Thema, dessen Echo bis in unsere Tage nachhallt. Diese Annäherung an den Krieg war nur auf Grundlage eines Aktenbestandes möglich, der zwar seit 1994 zugänglich ist, aber bis Dato kaum Beachtung gefunden hat: der riesige Bestand der 'Vietnam War Crimes Working Group' und der 'Peers-Kommission'. Bernd Greiner legt weltweit erste Buchpublikation vor, die mit diesen Quellen arbeitet, und rekonstruiert mit ihrer Hilfe die hintergründige Aktualität des Vietnamkriegs - eines asymmetrischen Krieges zwischen vermeintlich starken und vorgeblich schwachen Kontrahenten, die sich mit grundverschiedenen Mitteln und vor allem mit einer diametral entgegengesetzten Strategie bekämpften. So gesehen, gewinnt auch der historische Ort des Vietnamkriegs eine unerwartete Kontur: Er wird als 'Brücke' zwischen den heißen Kriegen im Kalten Krieg und den 'kleinen Kriegen' unserer Gegenwart wie der absehbaren Zukunft erkenntlich.