Warum zertrümmert ein Rentner mitten in Barcelona die Windschutzscheibe des Wagens der Journalistin Fátima Moreo? Holt die Vergangenheit ihres toten Vaters Fátima und ihre Familie ein? Wochen zuvor wurde General Gerardo Moreo am Strand von Roses leblos aufgefunden - und seither kommen immer neue Geheimnisse ans Tageslicht. Die alten Seilschaften aus der Zeit der Kolonialherrschaft in Afrika bestehen noch immer fort: Nach und nach entdeckt Fátima die Verstrickungen ihres Vaters und anderer hochrangiger Militärs aus Spanien und Frankreich in politische Intrigen und Mord. Und auch ihre tagein, tagaus mit der Suche nach Trüffeln beschäftigte Mutter ist nicht so unschuldig, wie sie tut. Nach seinem großartigen Roman Der Radfahrer von Tschernobyl über die wirklichen Helden der Reaktorkatastrophe beweist Javier Sebastián in seinem neuen Buch einmal mehr, dass er hochbrisante Themen spannend und intelligent in Fiktion zu verwandeln weiß.
Niemand vermag so scheinbar unbeteiligt und hellsichtig den Beziehungen zwischen Menschen nachzugehen wie Natalia Ginzburg: in der Familie, zwischen Mann und Frau, zu Freunden - und so beinahe weise eine Erzählung hinter der Geschichte auszubreiten.
Mord an der Piazza Vittorio! Ein Verbrechen soll aufgeklärt werden, aber vor allem entfaltet sich zwischen den Marktständen und in den Treppenhäusern der Palazzi ein vielstimmiges Portrait des römischen Lebens: Im Aufzug eines Wohnhauses an der Piazza Vittorio in Rom wird ein junger Italiener mit dem Spitznamen Il Gladiatore, den alle Hausbewohner unsympathisch fanden, tot aufgefunden. Amedeo (eigentlich Ahmed), den alle für einen Italiener halten und sympathisch finden, wird offiziell verdächtigt, der Mörder zu sein, weil er seither verschwunden ist. Nun darf jeder Hausbewohner "die Wahrheit" aus seiner Sicht erzählen: ein Koch aus dem Iran, eine neapolitanische Hausmeisterin, ein holländischer Filmstudent, eine peruanische Altenpflegerin. Sogar der abwesende Amedeo kommt zu Wort und kommentiert die Weltsicht seiner Mitbewohner - das Ganze gerät unversehens zur commedia all'italiana! Ein Buch über Rom, über die italienische Gesellschaft, ihre Bürokratie und ihren Erfindungsreichtum, über kulturelle Vorurteile, Missverständnisse und Freundschaften. Geschrieben von einem jungen Autor, der den Leser mit ironisch-leichtem Ton in den Bann zieht.
Eine britische Herzogin, die Stunden nach der Geburt gestylt mit Ihrem Baby posiert. Ein Supermodel, das während der Arbeit stillt - der Feminismus hat durch eigens für die Sozialen Medien entwickelte Bildformen eine neue Dynamik erfahren. Erstmals geht es nicht nur darum, traditionelle Rollenmuster kritisch zu analysieren, sondern bestehende Schönheitsnormen und Körperideale zu verändern.
Rosafarbene Slips, babyblau gefärbtes Achselhaar, Schmollmünder auf Selfies: Was sich nach Männerphantasien anhört, ist bei Netzkünstlerinnen feministisches Statement. Sie betreten damit den Kampfplatz um das "richtige" Bild der Frau, das in den Sozialen Medien nicht nur metaphorisch zur Debatte steht. Handelt eine Frau emanzipatorisch, wenn sie sich beim Stillen zeigt - oder reduziert sie damit sich selbst und andere Frauen auf die Mutterrolle? Bestätigt ein "Girl Power"-T-Shirt die Rolle des naiven kleinen Mädchens - oder stellt es sie infrage?
Die Medienwissenschaftlerin Annekathrin Kohout hat eine ebenso kurze wie prägnante Kultur- und Diskursgeschichte der weiblichen Bildpolitik verfasst, die von den Emanzipationsbewegungen im frühen 20. Jahrhundert bis zum netzfeministischen Bilderstreit der Gegenwart alle wesentlichen Phänomene weiblicher Bildpolitik in den Blick nimmt.
Was zeichnet die Erinnerung des jüdischen Volkes aus, die das Überleben trotz Vertreibung, Verstreuung und Verfolgung sicherte? Ein Klassiker nicht nur jüdischer Geschichtsschreibung, mit einem neuen Nachwort von Michael Brenner.
Von den Festen Pessach, Chanukka oder Purim bis hin zum Gedenken an die großen Wellen der Vernichtung: Das Judentum ist geprägt von der Erinnerung. So bildet der biblische Imperativ »Sachor: Erinnere Dich!« die Grundlage für die gemeinsame Identität und das Überleben der Juden als Gemeinschaft. Umso erstaunlicher ist, dass sich im Gegensatz zu vielen anderen zeitgenössischen Kulturen in der jüdischen Tradition seit der Zerstörung des Tempels und dem Beginn der Diaspora bis zur Moderne praktisch kaum eine Geschichtsschreibung findet.
In seiner wegweisenden Untersuchung geht Yosef Hayim Yerushalmi dem Paradox einer Geschichtsbetrachtung nach, die nicht auf die Vergangenheit ausgerichtet ist, und beleuchtet das Konkurrenzverhältnis von exakter, wissenschaftlicher Historiografie und identitätsstiftender, lebendiger Tradition. Dahinter steht die fundamentale Frage nach dem richtigen Gebrauch der Geschichte, der den Zusammenhalt der Gesellschaft ebenso betrifft wie die umkämpfte Erinnerung an den Holocaust.
Die wichtigsten Texte Ulrike Meinhofs sind ein Beispiel von entschiedenem Journalismus, der nicht vor den Höhen der Macht skandiert, sondern den politischen Widerspruch aufzufinden versteht, und zugleich ein Abriss deutscher Nachkriegsgeschichte: Sie analysieren die Unfähigkeit der Verarbeitung des Nazismus und die eilige Rekonstruktion der Macht, sie beschreiben das Verkümmern der Demokratie am Fall des Einzelnen - seine Würde wird antastbar.
Der groe Roman der romischen Autorin Francesca Melandri: eine Familiengeschichte, ein Portrat Italiens im 20. Jahrhundert, eine Geschichte des Kolonialismus und seiner langen Schatten, die bis in die Gegenwart reichen. Kennen Sie Ihren Vater? Wissen Sie, wer er wirklich ist? Kennen Sie seine Vergangenheit? Die vierzigjhrige Lehrerin Ilaria htte diese Fragen wohl mit "e;ja"e; beantwortet, und auch ihre Angehrigen glaubte sie zu kennen - bis eines Tages ein junger Afrikaner auf dem Treppenabsatz vor ihrer Wohnung in Rom sitzt und behauptet, mit ihr verwandt zu sein. In seinem Ausweis steht: Attilio Profeti, das ist der Name ihres Vaters Der aber ist zu alt, um noch Auskunft zu geben. Hier beginnt Ilarias Entdeckungsreise, von hier aus entfaltet Francesca Melandri eine schier unglaubliche Familiengeschichte ber drei Generationen und ein schonungsloses Portrt der italienischen Gesellschaft. Und sie holt die bisher verdrngte italienische Kolonialgeschichte des 20. Jahrhunderts in die Literatur: die Verbindungen Italiens nach thiopien und Eritrea bis hin zu den gegenwrtigen politischen Konflikten verknpft Melandri mit dem Schicksal der heutigen Geflchteten - und stellt die Schlsselfragen unserer Zeit: Was bedeutet es, zufllig im "e;richtigen"e; Land geboren zu sein, und wie entstehen Nhe und das Gefhl von Zugehrigkeit?
Der Messias ist zu Gast bei der Bourgeoisie - und er hat Liebe für alle mitgebracht: In diesem so analytischen wie verspielt-ironischen Roman, das literarische Gegenstück zum gleichnamigen Film von 1968, trifft der Dichter Pasolini auf den Polemiker der »Freibeuterschriften«.
»Komme morgen an.« Mehr steht nicht in dem Telegramm, mit dem der namenlose Gast seinen Besuch bei einer Mailänder Industriellenfamilie ankündigt. Es dauert nicht lange, und der überirdisch gut aussehende junge Mann hat der Reihe nach alle - geschlechter- und klassenübergreifend - verführt: Mutter, Vater, Tochter, Sohn und Dienstmädchen.
Der intime Kontakt mit dem göttlichen Sex und dem heiligen Geist lässt keine und keinen unberührt zurück. Die wohlgeordneten bürgerlichen Verhältnisse kollabieren, die Konsequenzen sind absurd oder politisch wünschenswert: Sie reichen von sexueller Befreiung über die Kollektivierung der Fabrik bis hin zur Heiligenexistenz.
Im Zusammenspiel von lustvoll-provokantem Ton und scharfer politischer Reflexion erkundet Pier Paolo Pasolini in dieser Parabel die Krise einer seelenlosen bürgerlichen Ordnung, die dem Chaos menschlicher Bedürfnisse im Zweifel kaum etwas entgegenzusetzen hat.
Ein radikales Plädoyer für eine Architektur gegen die Wegwerfideologie des Kapitalismus. Und ein Angriff auf zu kurz gedachte Vorschläge, die punktuelle Schadensbegrenzung als Nachhaltigkeit deklarieren.
»Baut dauerhafter, dichter und vor allem weniger!« ruft uns der Architekt und Historiker Vittorio Magnago Lampugnani zu.
Nachhaltiges Bauen ist in aller Munde. Die meisten Vorschläge zielen auf kurzatmige Maßnahmen wie die Anbringung von Dämmplatten (von Lampugnani »Vermummungsfundamentalismus« genannt) oder die Ächtung von Beton. Um langfristig nachhaltiges Wohnen in qualitativ hochwertigen Häusern zu schaffen, bedarf es aber weit differenzierterer und umfassenderer Überlegungen.
Lampugnani skizziert eine kleine Geschichte des städtebaulichen und architektonischen Konsumismus und baut darauf seine Überlegungen zu einer Kultur substantieller Nachhaltigkeit. Er schreibt an gegen die Auslöschung der Natur durch Zersiedelung und plädiert für eine Strategie der Dichte: Allein die kompakte Stadt kann ökologisch sein.
Um den immensen Material- und Energieverbrauch der Bauwirtschaft zu reduzieren, fordert er eine rigorose Kehrtwende: die Abkehr von der Erschließung weiteren Baulands und dem hemmungslosen Verbrauch von Rohstoffen. Nicht abreißen und neu bauen, sondern umbauen, rückbauen, weiterbauen. Je länger ein Gebäude lebt, desto ökologischer ist es.
Ein karibischer Roman vom Strand der Zukunft - und die uralte Frage, brennend wie der Kuss einer Seeanemone: Wer ist Ich?"e;Tentakel"e; tankt den magischen Treibstoff lateinamerikanischer und karibischer Traditionen, um deren Grenzen lustvoll hinter sich zu lassen. Ein Roman, der unsere Fragen nach Identitt, Sex und Gender auf unkonventionelle Weise verhandelt - und eine so bemerkenswerte wie befreiende Antwort findet. Ein kompromissloses, schnelles, unverschmtes Buch, an dem sich nicht nur die Voodoo-Geister scheiden - wie immer, wenn Literatur etwas wagt.
Diese freche, facettenreiche, lustvoll erzahlte Kulturgeschichte des weiblichen Geschlechts, eine Geschichte von Aberkennung und Aneignung, ist langst zum Standardwerk geworden. Was nicht existiert, bentigt keinen Namen, und was keinen Namen hat, existiert nicht. Das ist die Ausgangsthese von Mithu M. Sanyals bahnbrechender Studie ber die Vulva. Sie sucht nach der Geschichte der Vulva und stt in vergessenen Quellen auf fast sakrale Wertschtzung genauso wie auf hasserfllte Diffamierung. Sie erzhlt von Baubo, die in der griechischen Mythologie die Menschheit durch die Enthllung ihres Genitals rettete, findet zahlreiche Darstellungen selbst in der mittelalterlichen Kunst, geht auf gewaltsame Verstmmelungen ebenso wie auf die Mode der Vaginalverjngung ein, untersucht Schleiertanz und Striptease sowie die subversiven Performanceknstlerinnen Valie Export oder Annie Sprinkle. Eine kulturgeschichtliche Pionierarbeit fr Leser jeden Geschlechts. Unterhaltsam, intelligent, provokativ, notwendig.